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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783421059024
Sprache: Deutsch
Umfang: 300 S.
Format (T/L/B): 2.7 x 21 x 13.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Drei kunstvoll verwobene Geschichten über drei Frauen, einsam und auf der Suche nach sich selbst. Ihre Lebenswege treffen sich an einzelnen Punkten, und subtil fügt sich das Porträt einer Gesellschaft und einer Region im südwestlichen Polen an der Grenze zu Tschechien. Es geht um Ida Marzec, die nach langer Zeit hierher zurückkehrt, wo sie niemand Vertrauten mehr antrifft und schließlich Zuflucht bei einem alten Ehepaar findet, das voller Erinnerungen an ihre Familie steckt. Es geht um Idas Mutter, die alte Paraskewia, die mit ihrer Ziege Tekla zurückgezogen in den Bergen lebt. Und schließlich um Maja, Idas Tochter und Pareskewias Enkeltochter, die durch Asien reist und auf einer Insel in einem amerikanischen Zauberkünstler ihren verschwundenen Vater zu erkennen glaubt.

Leseprobe

Teil I Das reine Land Auf den kleinen Seitenstraßen sieht man im Winter nicht die weißen Linien. Nur an den Schneehaufen, die sich am Straßenrand türmen, zeichnet sich der Verlauf der Straße grob und ungefähr ab. Die Autoscheinwerfer bohren sich in die unförmigen Hügel am Rand, doch sie enthüllen nur halbkreisförmige Ausschnitte einer beweglichen Bühne, die sich immer weiter nach vorn verschiebt, in der Hoffnung, daß sie ihren Schauspieler schließlich aus der Dunkelheit hervorholen wird. Die Fernscheinwerfer sind völlig nutzlos, sie entlocken dem Dunkel nur die milchigen winterlichen Dunstschwaden, die über der Welt hängen. 'Gefrorener Leichenatem', denkt die Frau am Steuer des Autos. 'Leichenatem' ist ein Oxymoron, das eine Wort steht im Widerspruch zum anderen, doch auf merkwürdige Weise ergeben sie zusammen einen Sinn. Gleich kommt sie an eine größere Kreuzung, wo sie nach rechts abbiegen wird, in Richtung Süden, und an der Landesstraße wird sie mit Sicherheit ein Motel oder eine Pension finden. Hier wimmelt es von Pensionen, dauernd springen ihr aus der Dunkelheit die Schriftzüge entgegen: 'Zimmer frei', 'Zimmer', 'Ferien auf dem Bauernhof', auf Bretter gemalt, die an Zäune oder Bäume am Straßenrand genagelt sind. Das Radio murmelt vor sich hin, eine Diskussion zieht sich träge in die Länge, die Frau hört nicht zu. Rechts zeichnet sich jetzt ein dunkler Umriß im Nebel ab, der auf dem Schnee gut sichtbar ist. Sie bremst vorsichtig und wendet den Kopf - am Straßenrand erkennt sie einen Hund. Er liegt auf der Seite, in einer sanften Schneemulde, die Beine hat er von sich gestreckt, den Kopf etwas angehoben, als ruhe er auf einem Kissen. Eine Vorderpfote ist leicht angewinkelt, der buschige Schwanz liegt aufgefächert wie ein Federbüschel. Dem Anschein nach ist es eine Promenadenmischung, etwas wolfshundartig, aber kleiner, schwarz gestrichelt, Rasse 'Sudetenscheußlichkeit', wie man hier sagt. Er sieht wie schlafend aus, als hätte ihn plötzlich unterwegs beim Spaziergang ein unüberwindbares Bedürfnis nach Schlaf überwältigt, hier, jetzt, auf der Stelle, dem er nicht widerstehen konnte. Deshalb mußte er mitten im Lauf innehalten, sich im Schnee am Wegrand rasch ein Lager scharren, nur einen Meter von den Rädern der abgelenkten Autos entfernt. Das Licht der Autoscheinwerfer läßt ihn in seinem geheimnisvollen plötzlichen Schlaf einen Augenblick lang sichtbar werden, es offenbart ihn und läßt ihn dann wieder in die Dunkelheit zurücksinken. Die Frau beschleunigt, obwohl es nicht nötig ist, denn die Straße führt jetzt bergab, das Auto gleitet darüber, als sollte es von einer großen Schanze zu einem Nacht-und-Nebel-Flug abheben. Es ist ein angenehmes Gefühl, so hinabzusinken, das Herz hüpft, wird leicht, wiegt nichts mehr. Mit halbgeschlossenen Augen gibt sich die Frau dem Genuß dieser Empfindung hin. Rechts springt ein Wegweiser mit der Aufschrift 'Bardo - Bozków' aus der Finsternis, bittend breitet er die Arme aus wie ein aufdringlicher Tramper, der hysterisch von den Vorbeifahrenden einen Entschluß verlangt: Entscheide dich sofort: links oder rechts, nimm mich mit oder laß mich stehen. Los, mach schon. 'Nichts da, mein Lieber', denkt sie. Die Straße führt geradeaus, die beste aller möglichen Richtungen, und dem Märchen zufolge die sicherste, denn das ist die Linie des geringsten Widerstands, die garantiert, daß man ans Ziel gelangt. Gleich wird sie eine ordentliche Landstraße erreichen, schwarz und solide, mit einer weißen Steppnaht in der Mitte, dort wird auch mit Salz gestreut sein. Als sie am Nachmittag aus dem Kurort über die Serpentinenstraße hinunter ins Tal fuhr, mußte sie unmittelbar vor einer bei Glatteis sehr gefährlichen scharfen Kurve halten. Dort war viel Salz gestreut, um das Eis auf dem Asphalt zum Schmelzen zu bringen. Eine für alle Hupen taube Kuhherde versperrte an dieser Stelle die Straße, und die Kühe leckten das Salz auf. Sie waren friedlich und glücklich, hielten die weichen samtige Leseprobe

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