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Ein Sommertag im Krieg

Mein D-Day im Kosovo, Olzog-Edition

Erschienen am 24.06.2019, Auflage: 1/2019
22,95 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783957682086
Sprache: Deutsch
Umfang: 237 S., 31 s/w Illustr.
Format (T/L/B): 0.2 x 22.3 x 14.7 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Kosovo, 12. Juni 1999. Mit der 'Operation Joint Guardian', dem D-Day im Kosovo, beginnt der Einmarsch der Bundeswehr im Rahmen der KFOR-Mission in den südwestlichen Teil des ­Kosovo. Die NATO-Sicherheitstruppe Kosovo Force, kurz KFOR, soll den Abzug der jugoslawischen Truppen und die Entmilitarisierung des Kosovo überwachen und für ein ­sicheres Umfeld sorgen. Einer von ­ihnen ist der Berufssoldat Werner Pfeil, der sich seit Monaten in Mazedonien mit der 3. ­Kompanie des verstärkten Jägerbataillons auf den Einsatz vorbereitet. Zwanzig Jahre danach beschreibt er als ­Kommandant eines Führungspanzers den Tag des ­Einmarsches ins Kriegsgebiet, seinen D-Day in Richtung Zwischen­ziel Prizren im Kosovo. Ungeschminkt erzählt Pfeil über die emotionale Seite während des Einsatzes. Dabei reflektiert er seinen Seelenzustand in einer ­bemerkenswerten Offenheit. Ängste, Unwägbarkeiten und die Hilflosigkeit einigen Erlebnissen gegenüber zeigt er schonungslos auf. Es ist der Kontrast zwischen dem friedlichen Leben in Deutschland und der ­Angespanntheit in der Kriegsregion, die pure Angst, der Situation ausgeliefert zu sein, die Ungewissheit über das nächste Ereignis, die fast nicht aushaltbar scheint. Die Akteure wissen zwar, was zu tun ist, aber mit der Verarbeitung der potenziell trauma­tisierenden Erlebnisse werden sie alleine gelassen. 'Ich spürte Übelkeit, hatte plötzlich Angst. Sie machte sich vom Zeh bis in den Kopf breit wie ein Tsunami. Erst kleinere Wellen, dann immer größer werdend, bis sie über mir zusammenschlugen. Der Puls raste, und obwohl ich tief atmete, blieb die Sorge, nicht ausreichend Sauerstoff zu bekommen. Ich war gefangen - in der Situation, im Panzer und in der engen Luke. Die flirrende Hitze, die nach mir griff und mich umarmte, machte es nicht besser. Ich hasste das Wetter, die vom Schweiß getränkte Kleidung, die starre Schutzweste einfach alles. Die Vibration des Motors unter Belastung und die schlechte Piste schüttelten uns von den Füßen beginnend, über die Schenkel bis in die Halswirbel durch. Ich atmete flach, als wenn mir das Gefühl des Gefangenseins zu wenig Platz bot. Das Herz schlug wie wild, der Kopf leerte sich zunehmend, keine Gedanken, nur noch nackte Angst. Ich kämpfte gegen das Versinken in Apathie war regungslos wie das Kaninchen vor der Schlange.' Werner Pfeil wirft einen unverblümten Blick in die Seele eines Soldaten während des Kampfeinsatzes. 'Ich will den Leserinnen und Lesern deutlich machen, wie man Krieg und Zerstörung erlebt, wie diese Erlebnisse sich auf die Gemütsverfassung auswirken und wie leicht man Gefahr läuft, in der Vergangenheit zu verharren.' Ein Tatsachenbericht über die Zerrissenheit eines Soldaten zwischen Diensterfüllung und emotionaler Überforderung.

Autorenportrait

Werner Pfeil wurde im März 1957 in Paderborn geboren. Gemeinsam mit drei Brüdern erlebte er eine ­unbeschwerte Kindheit bei den Eltern in Hövelhof, die er oft genug zur Weißglut brachte. Seine Schulzeit war von ­Kurzschuljahren und einer Portion Faulheit geprägt und endete mit dem Hauptschulabschluss. Nach einer abgeschlossenen Lehre zum Dreher und einigen Jahren als Geselle trat er 1978 als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr ein. Bis hin zum Berufssoldaten durchlief er an diversen Standorten im gesamten Bundesgebiet und bei unterschiedlichen Truppengattungen seine Ausbildung in der Feldwebellaufbahn. In dieser Zeit holte er in Hamburg die Hochschulreife nach, die ihn für die Offizierslaufbahn qualifizierte. Die Karriere mit ihren üblichen Umzügen hatte gegenüber Heimatnähe keine Chance. Trotz einiger Standortwechsel fühlt er sich in der Heimat Hövelhof, am Tor zur Senne und an den Quellen der Ems, zu Hause. Zwei erwachsene Kinder und Enkelkinder, die zusammen mit ihm und seiner Mutter ein Mehrgenerationenhaus bewohnen, tragen dazu bei. 2010 begann ein neuer Lebensabschnitt, denn nach 32 Dienstjahren schied er nicht nur aus der Bundeswehr aus, sondern lernte eine Frau kennen, mit der er in einer ­Wochenendbeziehung lebt. Sie führt ihn abwechselnd an die Weser und an die Ems. Seither nennt er sich, bedingt durch die vielen Auslandseinsätze zwischen 1996 und 2008, heute zu Recht Pensionär und Veteran. Seit September 2015 veröffentlichte er schauplatzorientierte Spannungsromane, die Senne-Krimis. Er ist Mitglied im Papyrus Autorenclub und im Syndikat, der Autorengruppe deutschsprachiger Kriminal­literatur. Die Entwicklung der Persönlichkeit des Autors ­Werner Pfeil vollzog sich vor dem Hintergrund wechselnder und einschneidender Umstände im Laufe des Lebens. ­Einen Wende­punkt stellten sicherlich die Operationen mit Exekutiv-­Funktionen dar, die Ausübung von Zwang gegen andere im Rahmen IFOR, SFOR, KVM, KFOR und ISAF. Im Buch beschreibt er ungeschminkt einen Lebens­abschnitt, indem er protokollarisch den Tag des Einmarsches, dem 'D-Day', in Richtung Zwischenziel Prizren im Kosovo thematisiert. Dabei reflektiert er seinen aktuellen Seelenzustand in einer bemerkenswerten Offenheit. Ängste, Unwägbarkeiten und die Hilflosigkeit bei einigen Erlebnissen zeigt er schonungslos auf.

Leseprobe

Auszug aus dem Kapitel: Die erste Nacht im Kriegsgebiet Plötzlich wurde die Hecktür unsanft aufgerissen und der S-2 Offizier des Bataillons, ein junger Oberleutnant, der für die Beurteilung der Feindlage, Nachrichtengewinnung, Aufklärung, militärische Sicherheit und Geo-Information zuständig war, unterbrach die Befehlsausgabe. 'Der Bataillonskommandeur will sofort einen Spähtrupp vorn am Gefechtsstand haben.' 'Ich kann das übernehmen', sagte einer der Spähtrupp­führer mit falscher Unterwürfigkeit und einer Kameradschaft, von der er in meinen Augen bislang keinerlei Kostproben in die Waagschale geworfen hatte, 'falls nichts dagegenspricht', schob er noch nach, was sich wie eine Entschul­digung anhörte. Ich überwand den Impuls, ihm vors Schienbein zu treten. 'Ruhig, nicht so hastig. Worum geht es?' Bounty schaute ihn wütend an. Er liebte keine Störungen. 'Man hat angeblich zwei Stern-Reporter am Dulje-Pass erschossen.' Erschrockene Gesichter, betretenes Schweigen. Ich sah von oben nur hängende Köpfe. Trauer und Erschütterung waren spürbar und machten die Enge des Panzers deutlich fühlbarer. 'Gibt es dazu vielleicht nähere Informationen?' Ungeduldig und fordernd sah er den taufrischen Offizier an. 'Nach Berichten von einigen Reporterkollegen wurden die beiden bereits gestern in einen Hinterhalt gelockt. Der Täter hatte sich ihnen mit dem Versprechen angedient, sie zu einem Massengrab zu führen. Stattdessen hat man sie erschossen. Die Angaben konnten bisher nicht verifiziert werden, sodass ich sie weder bestätigen noch dementieren kann. Mehr haben wir auch nicht.' 'Verdammt! Tragisch! Aber was können wir tun? Zwischen hier und dort stehen einige Tausend Serben. Von der Minengefahr und den marodierenden UÇK-Kämpfern ganz zu schweigen.' 'Ein serbischer Verbindungsoffizier wird den Trupp begleiten. Freies Geleit wurde zugesagt also was ist der Kommandeur wartet nicht gern und die Brigade sitzt uns im Nacken. Die Leichen müssen da weg. Hat zu Hause bereits Kreise über die Medien bis ins Ministerium gezogen und für erhebliche Unruhe gesorgt', schon schlug er die Tür heftig zu. 'Arrogantes Arschloch', sagte ich laut und erntete zustimmende Blicke. Wie kann so etwas passieren? Waren die lebensmüde, sich dorthin zu wagen? Es sollte ihnen doch klar gewesen sein, dass eine unkalkulierbare Anzahl Soldaten und Freischärler umherzogen. Die meisten bewaffnet, einige sicherlich auch betrunken. Wütend auf alles Albanische oder Serbische, auf die NATO und besonders auf die Journalisten, denen sie ankreideten, mit ihren Fake-Berichten den Einsatz erzwungen zu haben. Bounty grübelte kurz, dann schien er einen Entschluss ­gefasst zu haben. Wieder eine Detonation, diesmal nicht weit weg, schätzte ich. Bekomme deshalb nicht mit, was der Chef befiehlt. Erst als sich einer der Hauptfeldwebel aus dem Panzer zwängte und zu seiner Besatzung ging, wusste ich, dass er eine offizielle Entscheidung gefällt hatte. 'Ich bin mir sicher, der Auftrag ist in guten Händen', sprach Bounty leicht säuerlich zu dem, der sich vordrängeln wollte und der schmollend in der Ecke saß. Ich liebe das Geräusch noch heute, obwohl es eigentlich kaum wahrnehmbar ist, wenn ein leichter gepanzerter Spähtrupp an einem vorbeirollt. Mit Wehmut dachte ich daran, liebend gern auch wieder auf diesem achträdrigen Gefährt zu sitzen, aber die Zeit als Spähtruppführer ist vorbei. Bin schlicht und ergreifend zu alt. Etwas traurig blickte ich beiden Spähpanzern Luchs hinterher. Nach 15 Minuten waren die Zugführer eingewiesen, der Auftrag zur Sicherung des Erkundungskommandos erteilt und es kehrte Ruhe im Panzer ein, der nun schon seit mehreren Tagen meine zweite Haut darstellte. Eine, die mich bisher gut geschützt hat und hoffentlich weiterhin schützen wird. 'Was ist, wollen wir die Küche anfeuern?', frotzelte ­Tommi, als alle wieder zu ihren Teileinheiten unterwegs waren. 'Was steht auf dem Plan? Welcher Typ?' Fragend drehte sich Günni, mit einer Hand auf der Verpflegungskiste, um. Für Laien sicherlich nicht leicht verständlich, Soldaten aber wissen, dass sich hinter der Nummer der Typenbezeichnung ein Ravioli-, Gulasch-, Hamburger-, Linseneintopf- oder Tortellini-Gericht im deutschen Einmannverpflegungs­paket, dem bekannten EPA, versteckt. Zur Feier des Tages schwenkte ich zwei bräunliche amerikanische 'Meals ready to eat'-Beutel, kurz MREs genannt, dem Pendant zum EPA, die ich aus meiner Privatkiste auf dem Dach des Panzers gezogen hatte. 'Oh wo hast du die wieder gemopst?', neugierig riss Tommi sie mir aus der Hand. 'Wer hat, der hat.' Mehr verriet ich nicht, denn ein ­Geheimnis war bei mir immer gut aufgehoben. 'Was ist drin?', seine Neugier schien geweckt. 'Four Fingers of Death' meine knappe Antwort. 'Hölle, was ein Fraß', maulte Günni, als wir die Pakete zubereiteten. Die Amis übertreiben maßlos mit ihren Nicknames, fanden wir drei, nachdem uns die Wiener Würstchen mit Bohnen in Tomatensoße geschmeckt hatten. Ich wollte ihnen den Appetit nicht nachträglich verderben und verschwieg deshalb, dass es sich um MREs aus anno 1987 handelte. Sie waren, um die Ehre meiner Person und die des amerikanischen Kameraden - von dem ich sie hatte - zu retten, zwölf ­Jahre haltbar. 'Hat der Alte was gegessen?', fragte Günni fürsorglich. 'Keine Ahnung, wo er steckt' antworte ich. 'Mir egal. Bin nicht sein Kindermädchen. Ist alt genug. Ist übrigens nach vorn zum Gefechtsstand, hören, was uns im neuen Raum erwartet', murrte Tommi und legte sich auf den Boden zwischen die Sitze, um ein wenig zu schlafen. Den Funkdienst übernahm ich in der Zeit. 'Günni, sieh zu, dass du den Kopp ein paar Stunden dichtmachst. Wer weiß, wie lange wir hier noch stehen.' Ich saß auf einem der Klappsitze im hinteren Kampfraum, die Füße auf dem gegenüberliegenden abgelegt. Recht gemütlich, allerdings gibt es in einem Gefechtsfahrzeug überall Ecken und Kanten, an denen man sich stoßen kann. Unter meinen Beinen sah ich auf Tommis Brustkorb, der sich bereits nach kurzer Zeit gleichmäßig hob und senkte. Günnis penetrantes Schnarchen deutete an, dass auch er im Land der Träume weilte. Die Funkwache taugte, um munter und hellwach zu bleiben. Allerdings wurde die Luft im Panzer irgendwann zu stickig, sodass ich mich aus der Luke schob. Die Isomatte legte ich so, dass ich bequem sitzen konnte, und ließ die Beine nach innen baumeln. Ich schloss die Augen und das Letzte was ich sah, waren die Lichter der Stadt, die dem unteren Rand des Himmels einen körnigen, gelblich-roten Schimmer verliehen, bevor die Dunkelheit den verblieben Rest dieses ereignisreichen Tages verschluckte. Ein lang gezogener Schrei riss mich aus den Gedanken. Krampfhaft hatte ich die Schultern hochgezogen, als wollte ich damit die Ohren verschließen und den Schrei abschütteln. Ich lauschte, aber es war nichts mehr zu hören. Doch. Das Zirpen der Grillen und das Fiepen des Funkgerätes und das Gemurmel aus dem Innern des Panzers. Prizren kam nicht zur Ruhe. Immer wieder peitschten Schüsse durch den warmen späten Abend. Einige aus Freude über die Befreiung, es mochten auch welche dabei sein, die töten sollten. Da war ich mir sicher. Am Knall waren sie nicht zu unterscheiden. Zuckte ich noch am Nachmittag, als wir die Stadt erreichten, bei jedem Geräusch heftig zusammen, kam ich mir mittlerweile abgebrüht vor. Erstaunlich, dachte ich und war aufgrund dieser Erkenntnis ein wenig erschrocken. Ich glaubte, automatisch zu wissen, wo geschossen wurde, was zwischen mir und dem vermeintlichen Ort des Geschehens lag und auch, ob mir Gefahr drohte oder eher nicht. Der Äther schwieg wie meine Kameraden. Ab und an ein Rauschen und Knarren. Es gibt Augenblicke, die erlauben einen Blick tief ins Innere der Seele. Dieser in der frühen, sternfunkelnden Nachtstunde von Prizren, in der die Sonne innerhalb weniger Minuten untergegangen war, schien so einer zu sein. Gedanken schossen mir durch den Kopf. Sie schweiften zwischen dem Hier und Jetzt und dem, was vor Monaten war und w...