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Selbstbehauptung

Warum Europa und der Westen sich begrenzen müssen

Erschienen am 11.04.2022, Auflage: 1/2022
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783957682369
Sprache: Deutsch
Umfang: 389 S.
Format (T/L/B): 2.6 x 22.8 x 15.4 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Die Krise des Westens spitzt sich zu im Zusammenfallen von innerer Schwachheit und äußeren Bedrohungen - insbesondere durch die ­Herausforderungen Russland, Islam und China. Nach der Niederlage in Afghanistan und dem Krieg in der Ukraine befindet sich der Westen in der Defensive gegenüber ­Autoritarismus und Islamismus, welche die Freiheit von offenen Gesellschaften infrage stellen. Europa ist durch seine strategische, geistige und demografische Lage stärker gefährdet als liberaldemokratische Staaten in Nordamerika, Ozeanien und Ostasien. Der globale Westen wird auch noch durch den zunehmend totalitären politischen Kapitalismus Chinas herausgefordert. Die politische Klasse an Hochschulen, in den ­Medien und Parteien verzichtet oft demonstrativ auf die Selbstbehauptung des Eigenen. Ein erstaunlicher Vorgang, weil in Evolution und Geschichte immer um die Selbstbehauptung von Kulturen, Gesellschaften und Staaten gerungen worden war. Anders als im Kalten Krieg sind die Europäer schon darüber gespalten, ob sie überhaupt bedroht sind oder ob sie nicht - so in der Klima­debatte - selbst die Hauptbedrohung verkörpern. Dabei machen die Aggressionen des Islamismus und Russlands deutlich, dass wir von einem Ring kultureller Feindseligkeit und politischer Gegnerschaft umgeben sind. Das aus seiner Handlungsunfähigkeit nach außen resultierende ­Machtvakuum der Europäischen Union zieht immer neue Aggressionen auf sich. Die innere Polarisierung zwischen weltoffenem Globalismus und regressivem Rückzug auf den Nationalstaat wird weder der Globalität noch der Komplexität der Herausforderungen gerecht. In den Gesellschaften und zwischen den Staaten des Westens muss eine neue Achse der Selbstbehauptung aufgebaut werden. Die diversen Interessen, Ideologien und Identitäten könnten in einer neuen Doppelstrategie der »Selbstbehauptung durch Selbstbegrenzung« auf einer höheren Ebene aufgehoben werden. Bürger kommt von Burg. Ein neues bürgerliches Bewusstsein sollte von internen Konflikten überleiten zu einem Europa, das schützt. Dafür müsste nächst der Überwindung der inneren Spaltung die Kontrolle über Europas Grenzen erreicht werden. In der multipolaren Welt wären statt globaler »Weltoffenheit« eine Koexistenz der Kulturen und Mächte und gegenüber feindseligem Totalitarismus eine Strategie der Eindämmung gefordert.

Autorenportrait

Heinz Theisen lehrte bis 2020 Politikwissenschaft an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen und an Universitäten im Nahen Osten. Er arbeitet als freier Autor u. a. für die Neue Zürcher Zeitung, Tichys Einblick und "Die Neue Ordnung" Schwerpunkte sind: Die Rolle des Westens in der neuen Weltordnung, Konflikte der Kulturen, Europa und der Nahe Osten.

Leseprobe

Einleitung: Die verlorenen Grenzen des Westens Seltsamerweise sind im westlichen Denken die wichtigsten Grenzen überhaupt in Vergessenheit geraten, die Grenzen des Möglichen. In einem surrealen Taumel überboten sich eine überdehnte amerikanische Weltmachtpolitik, die Geldschöpfung der Europäische Zentralbank, hedonistische Grüne und »woke« Wünsche aller Art darin, möglichst viele Begrenzungen aufzuheben. Eine Erklärung für diesen Verlust an Wirklichkeitssinn liegt im Mangel an Widerständen. Die Realitätsverkennung wird umso größer, je näher wir dem Reich der reinen Begriffe und Weltanschauungen kommen, den Hochschulen, Medien, Parteien und Parlamenten. Mit dem Konstruktivismus in den Geistes- und Sozialwissenschaften wurden Begriffe selbst zur Realität erhoben. Statt der strengen Suche nach Objektivität zählen die Gefühle, statt des Analysierens dient das Moralisieren der eigenen Wohlfühlgesinnung. Das Beschönigen der Welt endet in der Verdrängung selbst mani­fester Gefahren. In der bunten neuen Welt waren weder Viren noch böse Mächte vorgesehen. Entsprechend leichtsinnig waren wir gestimmt. Nach Ausbruch der Corona-Pandemie in Wuhan flogen noch Hunderttausende Passagiere aus China in die Welt. Die Regierungen in Europa und den USA dachten sich nichts dabei. Am fatalsten wirkte sich der Glaube an die Unbegrenztheit der Welt in der Außenpolitik aus. Fremd ist, was wir nicht verstehen. Bei der Anmaßung, dass es für uns auf Erden nichts Fremdes gibt, handelt es sich um eine Form von Unbegrenztheit, die viele Beteiligte überfordert. Der Übermut, in fremden Kulturkreisen westliche Strukturen aufzubauen, stellt keine Widerstände und Hindernisse in Rechnung. Tradition und Religion gelten nur noch als folkloristische Relikte, die dem Glauben an den Fortschritt weichen müssen. Die Entgrenzung der Räume ging mit einer Entgrenzung des ­Denkens einher. Niemand - so der Orientalist Gilles Kepel - habe die geistige Verwirrung vorausgeahnt, die mit dem Verschwinden von Distanzen und Perspektiven einhergegangen ist. Die Auflösung von räumlichen und zeitlichen Bezugspunkten habe uns die Orientierung verlieren lassen. Auch nach dem Scheitern des westlichen Universalismus im ­Nahen und Mittleren Osten folgten keineswegs Einsichten in unsere Begrenztheit, sondern die Flucht nach vorn in eine ganz neue Weltanschauung - die des Globalismus. Sie kennt keine Kulturen und Nationen mehr, sondern nur noch »die Menschheit« und die »Eine-Welt«. Jedoch sind nicht alle Kulturen so relativistisch und universalistisch wie der Westen. In traditioneller geprägten Kulturen finden sich nur wenige, die ihr Denken an globalen Interessen oder universellen Werten ausrichten. Umso größer ist ihre Bereitschaft, die technischen und ökonomischen Ergebnisse des Westens zu nutzen und sie gegebenenfalls gegen den Westen auszunutzen. Wie illusionär der westliche Menschenrechtsuniversalismus ist, hätte uns schon die »Kairoer Erklärung der Menschenrechte« von 1968 lehren können. Diese Antwort auf die Menschenrechtscharta der UN von 1948 stellt klar, dass Menschenrechte von Gott gewährt und nur im Rahmen der Scharia gültig sind. Aus den universellen Gottesrechten ergeben sich für Menschen vor allem Pflichten. Der idealistische Hochmut ist wohl auch eine Spätfolge der überragenden Macht und Vorherrschaft des Westens in den vergangenen Jahrhunderten. Am Ende des 19.Jahrhunderts hatte der damals noch »Abendland« genannte Westen seine Vorherrschaft über die übrige Welt abgeschlossen und eine Entwicklung zum Ende geführt, die über 400 Jahre vorher begonnen hatte. Für diese These spricht, dass in den Ländern Mittelosteuropas, die selbst Opfer westlicher Dominanz waren, wenig Neigung zu Schuld- und Unterwerfungsgesten gegenüber dem globalen Süden besteht. Der Glaube, wonach der Westen das Maß aller Dinge ist, wird heute bei den globalistischen Verächtern westlicher Macht umgedreht: Ihnen gilt der Westen als Ursache der meisten Probleme. Statt um die Gegner vor den eigenen Toren sorgt er sich um globale Gefahren, um die Zahl der Geschlechter und deren Diskriminierung. Im Wechselspiel von Makrovisionen und Mikroidentitäten drohen die mittleren Ebenen von Zugehörigkeiten und deren Gemeinsinn verloren zu gehen, von den Familien bis hin zum Staatswesen. Entsprechend schlecht ist es um ihren Zustand bestellt. Sie bieten oft keine Orientierung und keinen Zusammenhalt mehr an. Falsche Gegensätze von »Links oder Rechts« spalten die Gesellschaft, die Suche nach den notwendigen Gegenseitigkeiten zwischen Globalisten und Protektionisten versandet darüber in altideologischen Kategorien. Ferne Herausforderungen wie die »Klimakatastrophe« lenken von konkreten Aufgaben wie etwa dem Hochwasserschutz ab. Sowohl der islamistische als auch der chinesische Totalitarismus stehen je auf ihre Weise bereit, das geistige und physische ­Vakuum des Westens zu füllen und zu beerben. Die Bevölkerungsmassen ­Afrikas versuchen - verständlicherweise - an den schönen Träumen Europas teilzuhaben. Zugleich sind die Gespenster des Sozialismus wieder auferstanden. Die Tragödie der sich in den Weiten der Globalisierung auflösenden sozialökonomischen Gleichheitswünsche wiederholt sich heute als Farce. In immer neuen Varianten werden immer kleinere Opfergruppen identifiziert, deren Ungleichheiten es zu beseitigen gilt. Unser Mangel an Realitätssinn hat eine lange Vorgeschichte. Bereits in der Antike hatten universalistische Ideale die Realität verzerrt. Schon der römische Kaiser Marc Aurel glaubte, dass alle Menschen am Welt-Logos Anteil hätten und letztlich Brüder seien. Gleichwohl musste er die meiste Zeit seiner Herrschaft darauf verwenden, anstürmende Barbaren an den Grenzen des Römischen Reichs abzuwehren. Ihr Universalismus täuschte die Römer auch hinsichtlich der Integrationsfähigkeit der germanischen Barbaren. Die Römer hatten den Untergang ihres Reiches selbst in Zeiten des Niedergangs nicht vorhergesehen. Zu gewiss waren sie sich ihrer kulturellen Überlegenheit. Darin wurden sie durch den Teilhabewillen der Germanen bestärkt, die sich nichts sehnlicher wünschten als ihre Zugehörigkeit zum Reich. Sie wollten dessen Kultur nicht zerstören, sondern so viel wie möglich von ihr übernehmen und fortführen. Dem Willen zur Teilhabe stand aber ihre mangelnde Fähigkeit zur Integration gegenüber. Der uns plagende Widerspruch zwischen universellen Idealen und den Notwendigkeiten ihrer Begrenzung wird im Christentum auf die Spitze getrieben, zugleich aber durch Einsicht in unsere Erbschuld anerkannt. Unter den Bedingungen der Endlichkeit scheitert jeder Mensch an unendlichen Idealen und er kann demnach nur durch Beichte und Reue zum Ausgleich der Widersprüche und zum Frieden mit sich selbst finden. Im gleichen Maße wie die Hoffnungen des religiösen Glaubens schwinden, gewinnen sie in der Politik an Zulauf. Auch hierbei werden Sünden gebeichtet, allerdings die der anderen. Zu jedem Glauben gehört die Beschwörung des drohenden Endes. Die Klimaapokalypse scheint an die Stelle des Höllenfeuers getreten zu sein. Auch mit ersatzreligiösen Gewissheiten ist nicht zu spaßen. Statt Scheiterhaufen - dies ist ein Fortschritt - droht nur die soziale Exklusion. Von Erbsünde und Endlichkeit ist keine Rede mehr, es dominieren Selbstgerechtigkeit und Selbsterlösung. In dem globalistischen Traum von der »Einen-Menschheit« nehmen die Wunschvorstellungen gefährliche Züge an, weil über sie die politisch notwendigen Unterscheidungen zwischen Freunden, Feinden und Gegnern verloren gehen. Aus der Gleichsetzung der Kulturen ergeben sich absurde Asymmetrien. Der Zustand des heutigen Afghanistans ist das Ergebnis von west-östlichen Verstrickungen, in denen nichts zueinander ­passte. Exzessive Korruption und Islamismus schaukelten sich gegenseitig hoch. Statt für die Freiheit und Entwicklung ihres Landes zu kämpfen, flohen junge Afghanen nach Europa zu Staaten, die ihrerseits junge Menschen für ein demokratisches Afghanistan in den Krieg gegen die Tal...