0

Buchtipps - Romane

Schon die ersten Seiten lesen sich wie ein Paukenschlag. Wie ein langes Gedicht. Ostberlin 1986. Zur Musik des Brahms‘schen Requiem und desjenigen von Mozart lernen sich Katharina und Hans kennen. Sie ist 19, er Anfang 50, hat Familie und bereits ein Verhältnis. Er ist Schriftsteller, sie in der Setzer-Lehre. Hans und Katharinas Eltern bewegen sich im intellektuellen Milieu der DDR.

Die Überlebenden sind die drei Brüder Pierre, Benjamin und Nils, die die Asche ihrer Mutter nach deren Willen am See ihrer Kindheitsurlaube verstreuen sollen. Nach vielen Jahren begegnen sie sich erst in der damaligen Nähe wieder, die ihnen lange abhandenkommen war. Das Ferienhaus mussten sie bei ihrem letzten Besuch Hals über Kopf verlassen.

Der Ich-Erzähler beschließt sich auf das zu freuen, was ihm noch bleibt: den guten Tod. Auf dem Weg dahin gibt es noch ein paar Dinge zu erledigen: Rasen mähen zum Beispiel. So beschließt das Ich, noch genau ein Jahr zu leben. Allmählich wird dieses Jahr zu seinem intensivsten: so viel gibt es noch zu erleben, zu sehen und zu fühlen. In einer kunstvollen Variation der Ich-Perspektive (genialisch aus dem Norwegischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel), zieht der Autor in „Lieben“ die Bilanz eines wilden, poetischen Lebens.

Auf Facebook entdeckt die Ich-Erzählerin ihren Ex-Freund Björn aus Studentenzeiten wieder. Eine wilde Affäre beginnt, in deren Verlauf sie ihr gegenwärtiges Leben (Ärztin, zwei erwachsene Kinder, Langlauf-fanatischer Mann) mehr als einmal in Frage stellt. Alte und neue Gefühle tauchen auf. In der Struktur eines Arbeitstags erzählt die Ich-Erzählerin die ganze aufregende Geschichte in Rückblicken.   Aus dem Norwegischen übersetzt von Sylvia Kall und Ina Kronenberger

Melchor hat keine einfache Vergangenheit. Als Sohn einer Prostituierten hat er früh gelernt sich durchzuschlagen. Leider in jeglicher Hinsicht. Doch ein Aufenthalt im Gefängnis scheint ihn zu läutern: um den Mord an seiner Mutter aufzuklären, will er unbedingt Polizist werden und setzt alles daran, dieses Ziel zu erreichen. Nach einer wahrhaften Heldentat in Barcelona wird er zu seinem eigenen Schutz in die Provinz versetzt. Nach Terra Alta.

Lilach Schuster besitzt alles, was man haben kann: ein großes Haus mit Pool im Silicon Valley, eine gute Ehe mit einem erfolgreichen Mann, einen wohlgeratenen 16jährigen Sohn. Sie leistet ehrenamtliche Arbeit in einem Altenheim und bietet Filmnachmittage dort an. Lilach und Michael haben sich - zwar mit schlechtem Gewissen ihren Familien in Israel gegenüber - für das vermeintlich sichere Leben in den USA entschieden.

Während ihre Schwester Ingrid vier Kinder in sehr dichter Abfolge bekommen hat, schlägt sich Martha, die Ich-Erzählerin des Romans, einerseits seit ihrer Jugend mit einer ererbten depressiven Krankheit herum und andererseits mit dem Glauben, keine Kinder zu wollen bzw. aufgrund der Medikamente keine haben zu dürfen. Wir folgen ihr durch die Zeit ihres Absturzes in der Jugend und der Zeit ihrer Suche als Erwachsene. Die Eltern sind beide gescheiterte Künstlerexistenzen, Martha hängt sich an jeden Strohhalm, der ihr ein normales Leben verspricht.

Marie ist tot. Ihre zwei Jahre ältere Schwester Karla holt ihre Urne nach Hause in die ländliche Idylle Frankens, in der sie aufgewachsen sind und fährt dann nach New York zurück, um Maries Apartment auszuräumen. Sie trifft dort nicht nur die Freunde Maries und versucht Teile von deren Leben noch besser zu verstehen, sondern gleichzeitig versucht sie auch mit ihrer Trauer umzugehen. Beim Ausräumen tauchen auf dem Rechner der bekannten Fotografin geheim aufgenommene Bilder der Nachbarn von gegenüber auf. Warum hat Marie ihrer Schwester Karla davon nie erzählt?

Den Sommer verbringt die junge Bukarester Künstlerin seit jeher bei ihrer Tante in B. – einer rumänischen Kleinstadt an der Grenze zu Transsilvanien. Auch in diesem Jahr schwelgt sie unmittelbar nach der Ankunft in nostalgischen Erinnerungen an die vergangenen Jahre, denn das Leben bei der Tante war immer auch ein Leben fernab der kommunistischen Ceausescu-Diktatur. Doch schnell wird deutlich, dass die Rückkehr in den Ort ihrer Kindheit in diesem Jahr nicht reibungslos verlaufen wird. Nach Jahren des Studiums in Paris ist B. ihr zunehmend fremd geworden - das Erbe des Kommunismus ist bei den Bewohnern der Kleinstadt allgegenwärtig. Der schauerliche Fund einer übel zugerichteten Leiche hilft diesem Zustand nicht ab. Umso stärker versucht die Künstlerin die Fäden ihrer Familiengeschichte und die Verbindungen zu ihren alten Freunden zusammen zu bringen – ein schwieriges Unterfangen, bei dem Personen, Zeit, Ort und Handlung in der Schwebe bleiben. Ein großes Lesevergnügen, bei dem sich Erinnerungen an die Ceaucescu-Diktatur mit dem fantastischen Element des Vampirismus elegant zu einer Kritik an der kapitalistischen Gegenwart verbinden.

Eva Munz erzählt glaubhaft von drei Männern und ihren Verstrickungen rund um Identitätsfragen, falschen Vorbildern und die Suche nach Halt. Hasirs Familie verdiente mit Opiumhandel in Afghanistan Millionen – von dem stattlichen Erbe lebt Hasir nun in Paris. Die Begegnung mit einer Unbekannten lässt längst vergessen geglaubte Dramen wieder aufleben. Sameer, Hasirs Neffe, wächst in einem Waisenhaus in Kabul auf, seinen Onkel sieht er nur anlässlich seltener Heimatbesuche. Für die anderen im Waisenhaus ist Sameer jemand, der Unheil bringt – sein „rotes Teufelshaar“ und Sommersprossen die unübersehbaren Folgen eines Verbrechens: der Vergewaltigung seiner Mutter durch einen sowjetischen Soldaten. Zuletzt ist da Ryder, ein US-Marine, der überraschend für eine militärische Sondereinheit rekrutiert wird – eine Art spirituelle Kampftruppe. Die Wege der drei so unterschiedlichen Charaktere kreuzen sich auf unerwartete Weise, denn alle drei werden ins politische Weltgeschehen um 2001 hineingezogen. Der Roman ist reich an Handlung und Wendungen, wirkt dabei aber nie überladen. Skurriler Humor, fein gezeichnete Charaktere und extremes Tempo – von Eva Munz werden wir in Zukunft hoffentlich noch viel lesen.